Unter den Teilnehmern des diesjährigen Rolex Middle Sea Race waren dieses Jahr einige BYC Segler präsent.
Im folgenden Text berichtet Nico Jansen von den harten Bedingungen, vielen spannenden Erlebnissen und den rund 600 gesegelten Seemeilen:
“Das wird eine harte Nacht Leute“, warnte uns Michelle Lecce, unser Bootcaptain. Bam, Bam, Bam, Pause und Bam. Es war kurz nach sieben und ich war gerade endlich eingeschlafen, doch die dumpfen Geräusche des Carbonrumpfes rissen mich wieder aus dem Schlaf. „Jetzt ist es soweit“, rufe ich, „jetzt ist sie zerbrochen“. „Das ist total bekloppt“, antwortet Oli von vorne. „Vor zwei Jahren mussten sie bei solchen Bedingungen aufgeben, weil das Schiff nicht dafür konstruiert ist“, kommt es von Momo aus einer anderen Ecke. Gisbert stolpert über mich. Ich versuche weiter zu schlafen. Es ist neun. Oda steht vor mir: „Wachwechsel!“. Ich stehe auf. Die Pfütze, in der ich geschlafen habe, ist größer geworden. Ich krabbele zur Luke. Das Wasser im Niedergang schwabt hin und her. Ich ziehe meine Schwimmweste an und klettere an Deck. Es ist dunkel. „Was kann ich tun?“. „Gewicht auf die Kante!“, kommt es zurück. Ich sichere mich mit meiner Lifeline, die mich im Zweifel am Boot halten soll. Regelmäßig schlagen Wellen in mein Gesicht, Ich werde herumgeschleudert. Ich presse mich an meinen Sitznachbarn. Mir ist kalt. Ich schaue nach oben, der Mond erhellt die sonst so finstere Nacht. Vor uns, eine tiefschwarze Wolke, es blitzt – wir halten direkt darauf zu. „Was für eine Schnappsidee war das denn hier bitte?“ In dem Moment erreicht uns der Regen.
Aber ein paar Schritte zurück: Das Thema Offshore segeln ist im BYC bekannterweise nicht allzu präsent. Dennoch gibt es einige Mitglieder, die schon lange Zeit auch im Offshore segeln aktiv sind. Letztes Jahr segelte Carl-Peter Forster (Peter) beim Rolex Middle Sea Race, einem 600 Seemeilen Offshore Rennen, mit einer jungen BYC Crew mit. Nach den positiven Erfahrungen und Eindrücken des letzten Jahres (bei sehr wenig Wind) sollte das Ganze wiederholt werden, dieses Mal auf einem noch größeren und schnelleren Boot. Mit seinem Sohn Moriz (Momo) begann er nach Schiffen zu suchen und stieß auf die Freccia Rossa, eine rote TP 52, die vor einigen Jahren unter dem Namen „All for one“ mit Jochen Schümann bereits unter BYC Wimpel segelte. Die Crewliste stand bis ein paar Tage vor Start, nach einigem Hin und Her, dann auch endlich fest. Peter brachte aus seiner Offshore Crew Juliane Zerbst und Gisbert Pauen mit, dazu kamen Joshua Weber als Navigator, sowie Oliver Oczycz, Camilla Hoesch, Oda Hausmann, Frederik Eichhorst, Niklas Schubert, Marco Tarabochia und Ich (Nico Jansen). Komplettiert wurde das noch durch drei Profi Segler: Cristian Buck aus Deutschland, Michelle Lecce aus Italien und Alan Smith aus Neuseeland.
Am Montag dem 18. Oktober war Anreise auf Malta. Der erste Realitätscheck, dass dieses Schiff eigentlich auf Inshore Regatten ausgelegt ist, kam direkt nach Ankunft am Schiff. Als Momo die Toilette begutachten wollte ,stellte sich heraus, dass diese nur eine Attrappe ist. Eimer wäre hier angesagt. Auch das restliche „Innenleben“ war eher rustikal. Ein komplett schwarzer Carbon Rumpf mit lediglich einer Bank auf jeder Seite; also würden wir auf dem Boden schlafen müssen. Trotz spärlicher Ausstattung, merkten wir sofort, dass wir auf diesem Boot Spaß am Segeln haben würden.
Von Dienstag bis Donnerstag trainierten wir und lernten die Freccia Rossa kennen. Da kaum einer von uns Erfahrungen auf so einem großen Schiff hatte, mussten wir in kurzer Zeit sehr viel Neues lernen. Nachdem wir alle relevanten Manöver trainiert hatten, war am Freitag Ruhetag. Am Abend trafen wir uns zu einem finalen Wetterbriefing. „Das wird auf jeden Fall ein Rekordjahr werden“, erklärte uns Josh. Über dem Rennkurs, der von Malta um Sizilien, Pantelleria und Lampedusa herum nach Malta zurück führt, befand sich ein Tiefdruckgebiet, welches für ordentlich Wind sowie einen vorteilhaften Dreher sorgen würde. Am Samstag liefen wir um 10:00 Uhr morgens mit rund 100 weiteren Teilnehmern, darunter unter anderem Comanche und Skorpios, in Richtung Startlinie aus. Der Start findet traditionell im großen Hafen von Valetta, umringt von der historischen Altstadt, sowie etlichen Zuschauernstatt. Um 11:00 Uhr eröffnete unter Kanonenfeuer die erste Startgruppe das Rolex Middle Sea Race. Unser Start in der zweitgrößten Klasse folgte um 12:00 Uhr. Mit einer guten Position an der Linie konnten wir uns direkt nach dem Startsignal durchsetzen und verließen als erstes Schiff den Hafen von Valetta. Nach einem kurzen Vorwind, bei dem wir unsere Führungsposition behaupten konnten, erreichten wir die letzte Tonne vor Malta und bogen in Richtung Sizilien ab. Der erste Schlag begann als Reach, welcher sich später in eine Kreuz verwandelte. Begleitet von Delfinen und mit einem Bootsspeed von ca. 12 Knoten bei 16-18 Knoten Wind begann die Aufholjagd auf all die kleinen Boote, welche vor uns gestartet waren.
Zum Einbruch der Dämmerung erreichten wir Sizilien und kreuzten von hier an entlang der Insel mit mittlerweile bis zu 25 Knoten Wind in Richtung der Straße von Messina. Die Straße von Messina ist für leichten Wind, starke Strömung und damit ziemlich schwierige Bedingungen bekannt. Wir hielten uns ein wenig zu weit am rechten Ufer auf und blieben in einer Flaute hängen. Unsere erste Nacht verbrachten wir also damit, durch komplizierte Leichtwind Bedingungen zu navigieren.
Die Crew war in drei Wachen eingeteilt, so dass jeweils drei Stunden segeln von drei Stunden Standby und drei Stunden Schlaf gefolgt wurden. Mit Sonnenaufgang verließen wir die Straße von Messina und bretterten in Richtung Stromboli. Der Wind nahm hierbei wieder auf 20-25 Knoten zu. Als ich an diesem Morgen nach meiner Pause wieder das Deck betrat, lag der Vulkan Stromboli bereits rauchend vor uns. Nach Passieren des Vulkans folgte ein langer Vorwind Schlag entlang der Nordküste Siziliens. Mit zunächst noch 25 Knoten Wind zogen wir den ersten Gennaker hoch, doch bei mittlerweile Böen von bis zu 30 Knoten und zwei Meter Welle wurde relativ schnell klar, dass es uns an ein wenig Erfahrung in Sachen Bootshandling fehlte. Bei ca. 22 Knoten Schiffgeschwindigkeit verlor Oli, der am Steuer saß, in einer Böe die Kontrolle, was zu unserem ersten Sonnenschuss führte. In der Folge übernahmen unsere Profis Michelle und Alan zunächst Steuer und Gennaker. Die Wache unter Deck war Dankbar, erstmal nicht wieder durch die Gegend geschleudert zu werden. Bei Bootsgeschwindigkeiten von bis zu 25 Knoten machten wir vor einer beeindruckenden Kulisse Meilen gut. Einige Zeit später zeigte sich aber, dass die mittlerweile bis zu 35 Knoten auch für erfahrene Profis eine zu große Herausforderung darstellten. Mit dem zweiten Sonnenschuss verloren wir unseren ersten Gennaker. Ebenso mussten wir feststellen, dass es uns einen Großteil unserer Winschkurbeln aus dem Boot gespült hatte. Für ca. eine Stunde segelten wir bei zwischen 25-30 Knoten nur mit Fock und Gerefftem Groß die Wellen herab – dabei erreichten wir immer noch Bootsgeschwindigkeiten von bis zu 22 Knoten und die Profis konnten sich ein wenig ausruhen. Hierbei entstand auch das Bild. Nachdem jeder einmal kurz durchatmen konnte, entschieden wir uns wieder einen Gennaker zu setzen. Unsere Bordelektronik hatte mittlerweile aufgrund der Nässe im Boot den Geist aufgegeben – ab jetzt navigierten wir mit Navionics, AIS gab es auch nicht mehr. Bei Böen von nach wie vor bis zu 35 Knoten machten wir abermals gute Fahrt – Höchstgeschwindigkeit 27,8 Knoten, ein unglaubliches Gefühl. Dennoch mussten wir einsehen, es war einfach zu viel. Also packten wir den Gennaker wieder weg.
Gegen späten Nachmittag erreichten wir Palermo und damit auch eine große Gewitterwalze, welche auf uns zu rollte. Der Gennaker, den wir zwischendurch wieder gezogen hatten, musste weg und rein ging es ins Gewitter. Wider Erwarten gab es kaum noch Wind, aber um uns herum blitze es wie wild. Mit Einbruch der Nacht kamen wir an eine weitere schwierige Stelle. In der Windabdeckung von Siziliens Westküste fanden wir uns erneut bei sehr wenig Wind wieder. Durch einen geschickten Schlag in eine kleinere Böe konnten wir hierbei jedoch einige Meilen zu unseren Konkurrenten gut machen. So rauschten wir zwischendurch unter Gennaker mit bis zu 22 Knoten Geschwindigkeit durch die tiefschwarze Nacht, während unsere Konkurrenten ein paar Meilen weiter parkten. Mit Tagesanbruch erreichten wir die vorletzte Wegmarke vor Malta, Pantelleria. Der Kurs von Pantelleria nach Lampedusa war ein langer, aber recht spitzer Vorwind. Hierbei verloren wir einen weiteren Gennaker. So konnten wir nur noch mit Code Zero bei erneut Windgeschwindigkeiten von um die 25 Knoten segeln. Zu diesem Zeitpunkt merkten wir bereits deutlich, wie anstrengend die letzten Tage für alle von uns waren.
Gegen Montagabend erreichten wir Lampedusa und es folgte ein letzter langer Kreuzschlag. Doch wie anfangs erwähnt, forderte uns diese Nacht nochmal alles ab. Bei Windgeschwindigkeiten von 20-30 Knoten und großen Wellen segelten wir durch drei Gewitterzellen mit Starkregen. Wir alle waren zu diesem Zeitpunkt völlig durchnässt, erschöpft und froren. Das Schiff nahm hierbei viel Wasser. Michelle war 6 Stunden nur noch damit beschäftigt das Wasser aus dem Schiff zu pumpen. Doch die Aussicht auf das Erreichen des Ziels im Morgengrauen trieb uns weiter an. Wir überholten sogar noch eine andere TP52 (Zero Emission), die ebenso mit den harten Bedingungen zu kämpfen hatte. Am Dienstag um 6:45 Uhr, erreichten wir nach zwei Tagen und 19 Stunden das Ziel, den Hafen von Valletta. All die Anstrengungen waren es plötzlich wieder Wert und das Gefühl, es geschafft zu haben, entschädigte den Kampf der letzten Nacht. Im Gesamtergebnis landeten wir um den einunddreißigsten Platz (IRC 31 & ORC 32) von 120 Booten und in unserer Gruppe auf dem vierten Platz (ORC).
Am Mittwoch gingen wir nach ausgiebigem Schlaf wieder zum Boot, welches durch die Strapazen der letzten Tage erst einmal wieder auf Vordermann gebracht werden musste. Am Steg stand eine große Mülltonne. Ein Mann stopfte einen zerrissenen Gennaker hinein. Es war nicht der erste und nicht der letzte an diesem Tag. Einige hatten es auch gar nicht ins Ziel geschafft.
Aber würden wir es wieder machen? Jederzeit!
Text und Bilder:
Nico J.
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